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Sudan: Weitverbreitete sexuelle Gewalt in der Hauptstadt

Rapid Support Forces hauptverantwortlich; Blockade von Hilfsgütern und Angriffe auf medizinische Einrichtungen gehen zulasten der Betroffenen

Frauen gehen am 28. Mai 2023 auf einer leeren Straße im Viertel Jabra in Khartum spazieren, während die Kämpfe zwischen zwei rivalisierenden Generälen weitergehen. © 2023 AFP via Getty Images
  • Die Rapid Support Forces (RSF), paramilitärische Kräfte im Sudan, haben in den von ihnen kontrollierten Gebieten im Großraum Khartum zahlreiche sexuelle Übergriffe begangen.   
  • Sowohl die RSF als auch die sudanesischen Streitkräfte (SAF) haben medizinisches Personal, Ersthelfer*innen und Gesundheitseinrichtungen angegriffen, was ein Kriegsverbrechen darstellt.
  • Die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen sollten dringend eine Truppe zum Schutz der Zivilbevölkerung entsenden. Staaten sollten Maßnahmen ergreifen, um die Verantwortlichen für sexuelle Gewalt zur Rechenschaft zu ziehen.

(Nairobi) – Sudans Kriegsparteien, insbesondere die Rapid Support Forces (RSF), haben seit Beginn des aktuellen Konflikts in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zahlreiche Vergewaltigungen begangen, einschließlich Gruppenvergewaltigungen, und andere Formen sexueller Gewalt ausgeübt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 89-seitige Bericht „‚Khartoum is Not Safe for Women‘: Sexual Violence against Women and Girls in Sudan's Capital“ (dt. etwa: Frauen sind in Khartum nicht sicher: sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der sudanesischen Hauptstadt) dokumentiert die weit verbreitete sexuelle Gewalt sowie Zwangs- und Kinderheirat während des Konflikts in Khartum und seinen Schwesterstädten. Frauen und Mädchen, die von der RSF festgehalten wurden, berichteten gegenüber Einrichtungen, die Betroffene behandeln und unterstützen, von Bedingungen, die sexueller Sklaverei gleichkommen könnten. Der Bericht unterstreicht auch die verheerenden gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Betroffenen und dokumentiert die zerstörerischen Angriffe der Kriegsparteien auf Gesundheitseinrichtungen und die vorsätzliche Blockade von Hilfsleistungen durch die sudanesischen Streitkräfte (SAF).

„Die Rapid Support Forces sind für Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen und Zwangsheirat von unzähligen Frauen und Mädchen in Wohngebieten der sudanesischen Hauptstadt verantwortlich“, sagte Laetitia Bader, stellvertretende Afrika-Direktorin bei Human Rights Watch. „Die bewaffnete Gruppierung hat Frauen und Mädchen terrorisiert. Beide Kriegsparteien verwehren ihnen den Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsleistungen, was das Leid, dem sie ausgesetzt sind, noch vergrößert und ihnen das Gefühl gibt, nirgendwo sicher zu sein.“ 

Natürlich ist es sehr wichtig, die Betroffenen selbst sprechen zu lassen, und diese sollten die Möglichkeit haben, in einer sicheren Umgebung und unter würdigen Bedingungen über ihre Erfahrungen, Ansichten und Forderungen zu sprechen. Allerdings konnte Human Rights Watch nur mit wenigen Betroffenen direkt sprechen. Gründe dafür waren der blockierte Zugang zu Khartum, Sicherheitsprobleme, fehlende Hilfe für Betroffene und logistische Hindernisse. Die Organisation befragte zwischen September 2023 und Februar 2024 insgesamt 42 Gesundheitseinrichtungen, Sozialarbeiter*innen, Berater*innen, Anwält*innen und lokale Hilfskräfte in den Emergency Response Rooms (ERRs), die sie in Khartum eingerichtet haben.

Achtzehn der Gesundheitseinrichtungen hatten Betroffene sexueller Gewalt direkt medizinisch versorgt oder psychosoziale Unterstützung geleistet. Ihren eigenen Unterlagen zufolge hatten sie zwischen dem Ausbruch des Konflikts im April 2023 und Februar 2024 insgesamt 262 Betroffenen sexueller Gewalt im Alter von 9 bis 60 Jahren betreut.

„Ich habe monatelang mit einem Messer unter meinem Kopfkissen geschlafen, aus Angst vor den Razzien, auf die Vergewaltigungen durch die RSF folgten“, sagte eine 20-jährige Frau, die in einem von der RSF kontrollierten Gebiet lebt, Anfang 2024 zu Human Rights Watch. „Seit dieser Krieg begonnen hat, ist es nicht mehr sicher, als Frau in Khartum unter den RSF zu leben.“

Die Betroffenen leiden unter immensen langfristigen körperlichen, emotionalen, sozialen und psychologischen Folgen, so Human Rights Watch. Zahlreiche Personen, die durch Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen schwere körperliche Verletzungen erlitten hatten, suchten bei medizinischen Hilfskräften Unterstützung. Mindestens vier der Frauen starben an den Folgen. Vielen Betroffenen, die nach ihrer Vergewaltigung einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollten, wurde die entsprechende Behandlung erheblich erschwert. Die von den Betroffenen beschriebenen Symptome, etwa Suizidgedanken, Beklemmung, Angstzustände oder Schlaflosigkeit, entsprechen jenen, die mit posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen verbunden sind.

„Ich habe mit einer Frau gesprochen, die vergewaltigt worden war und gerade erfahren hatte, dass sie im dritten Monat schwanger war“, so ein Psychiater. „Sie war sichtlich traumatisiert, zitterte und hatte Angst davor, wie ihre Familie reagieren würde. Sie sagte zu mir: ‚Wenn sie von meiner Situation erfahren, bringen sie mich um‘“.

Viele Betroffene berichteten medizinischem Personal gegenüber, dass sie von bis zu fünf RSF-Kämpfern vergewaltigt wurden. Mitglieder der RSF haben auch Frauen und Mädchen entführt und sie in von ihnen besetzten Häusern und anderen Einrichtungen in Khartum, Bahri und Omdurman gefangen gehalten. Dort wurden sie sexuell missbraucht und auf andere Weise misshandelt. Manche Frauen und Mädchen wurden sogar vor den Augen ihrer Familienangehörigen sexuell missbraucht. Andere wurden durch RSF-Angehörige in eine Ehe gezwungen.

Auch Mitglieder der sudanesischen Streitkräfte haben Menschen vergewaltigt, darunter Jungen und Männer, auch in Gefangenschaft. Zwar ist die Zahl niedriger als bei den RSF, doch wurde ein Anstieg der Fälle gemeldet, nachdem die SAF Anfang 2024 die Kontrolle über Omdurman übernommen hatten.

Wie Human Rights Watch feststellte, haben beide Kriegsparteien Betroffenen den Zugang zu wichtiger und umfassender medizinischer Notversorgung verwehrt.

Die SAF haben die Versorgung mit Hilfsgütern, einschließlich medizinischer Güter, und den Zugang von Hilfskräften vorsätzlich eingeschränkt und seit mindestens Oktober 2023 eine De-facto-Blockade für medizinische Güter in den von den RSF kontrollierten Gebieten von Khartum verhängt. Die RSF haben medizinische Vorräte geplündert und medizinische Einrichtungen besetzt.

Lokale Rettungskräfte sind nahezu die einzigen Ansprechpartner*innen für Betroffene sexueller Gewalt. Dafür zahlen sie einen hohen Preis, denn beide Kriegsparteien haben Ärzt*innen, Krankenschwestern und freiwillige Ersthelfer*innen eingeschüchtert, willkürlich inhaftiert und angegriffen, unter anderem, weil sie Betroffene von Vergewaltigungen unterstützt hatten. Mehrere Helfer*innen seien nach eigenen Angaben selbst Opfer sexueller Gewalt durch RSF-Angehörige geworden.

Sexualisierte Gewalt, die im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ausgeübt wird, ist ein Kriegsverbrechen. Sind sexualisierte Gewalt und Zwangsheirat Teil eines weit verbreiteten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, wie es im Sudan der Fall ist, können sie auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht und verfolgt werden, so Human Rights Watch.

Die vorsätzliche Behinderung oder willkürliche Einschränkung von humanitärer Hilfe verstößt ebenfalls gegen das humanitäre Völkerrecht. Plünderungen sowie Angriffe auf die Zivilbevölkerung, einschließlich medizinischem Personal und Ersthelfer*innen, stellen Kriegsverbrechen dar. Vorsätzliche Angriffe auf humanitäre Hilfsmaßnahmen, wie etwa Hilfskräfte, Einrichtungen und Fahrzeuge, sind ebenfalls als eigenständiges Kriegsverbrechen zu begreifen, das nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) verfolgt werden kann.

Wie Human Rights Watch herausfand, hat keine der Kriegsparteien nennenswerte Schritte unternommen, um ihre Truppen an Vergewaltigungen oder Angriffen auf die medizinische Versorgung zu hindern oder die von ihren Streitkräften begangenen Verbrechen unabhängig und transparent zu untersuchen. Am 23. Juli wies der RSF-Sprecher in einem Schreiben an Human Rights Watch die Behauptung zurück, die RSF besetze Krankenhäuser oder medizinische Zentren in den drei Städten des Staates Khartum. Er lieferte keine Beweise dafür, dass die RSF wirksame Untersuchungen zu Vorwürfen sexueller Gewalt durch ihre Streitkräfte durchgeführt hat, geschweige denn diese zur Rechenschaft gezogen hat.

Die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen sollten unverzüglich eine neue Mission zum Schutz der Zivilbevölkerung im Sudan entsenden. Diese sollte unter anderem sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt verhindern, eine umfassende Versorgung aller Betroffenen gewährleisten und konfliktbedingte sexuelle Gewalt dokumentieren. Die Mission sollte ein Mandat haben und über entsprechende Ressourcen verfügen, um die Behinderung von humanitärer Hilfe effektiv zu überwachen und den Zugang zu ihr zu erleichtern.

Internationale Geber müssen dringend die politische und finanzielle Unterstützung für die Rettungskräfte vor Ort erhöhen. Die Länder sollten gemeinsam gezielte Sanktionen gegen Befehlshaber verhängen, die für sexuelle Gewalt und Angriffe auf medizinisches Personal und Ersthelfer*innen verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, insbesondere aus der Region, sollten sich weiterhin darum bemühen, dass diese Verbrechen auch international untersucht werden, unter anderem durch die unabhängige internationale Untersuchungskommission für den Sudan. Die Vereinten Nationen sollten dringend ihre Kapazitäten neu aufstocken, um angemessen auf konfliktbedingte sexuelle Gewalt reagieren zu können.

„Frauen, Männer und Kinder, denen in Khartum und anderen Orten Missbrauch droht oder die vergewaltigt worden sind, müssen darauf zählen können, dass andere Länder sie schützen und ihren Zugang zu Hilfsdiensten und zur Justiz gewährleisten“, so Bader. „Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union müssen für diesen Schutz sorgen und Regierungen sollten diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die für die anhaltende sexualisierte Gewalt, die Angriffe auf lokale Ersthelfer und Gesundheitseinrichtungen sowie die Blockierung von Hilfsleistungen verantwortlich sind.“

 

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