(Bangkok, 13. August 2024) – In den vergangenen Monaten kam es in Myanmars Bundesstaat Rakhine zu Hinrichtungen und zahlreichen Brandstiftungen durch Kräfte der Militärjunta und der Rebellengruppe Arakan Army. Die Angriffe richteten sich gegen Angehörige der Ethnien der Rohingya und Rakhine sowie gegen andere Zivilist*innen im Bundesstaat Rakhine im Westen Myanmars, so Human Rights Watch heute. Die Zwangsrekrutierung von Jugendlichen und Männern aus der ethnischen Gruppe der Rohingya durch das Militär hat die Spannungen zwischen den muslimischen Rohingya und den buddhistischen Rakhine weiter verschärft.
Im April und Mai 2024 verübten Kräfte der Militärjunta und verbündete bewaffnete Rohingya-Gruppen sowie die vorrückende Arakan Army Gräueltaten an Zivilist*innen. Am 17. Mai erlangte die Arakan Army die Kontrolle über die verbliebenen Militärstützpunkte der Junta in der Gemeinde Buthidaung. In der Folge beschossen und plünderten ihre Truppen Wohnviertel in der Stadt Buthidaung und in den umliegenden Dörfern, in denen vorrangig Rohingya leben, und brannten sie nieder, so dass Tausende Rohingya fliehen mussten. Der Konflikt hat sich seitdem nach Westen in Richtung Maungdaw verlagert, wo sich die Kämpfe in der vergangenen Woche intensiviert haben. Es gibt Berichte über Tötungen und andere Übergriffe auf die Rohingya, darunter auf Kinder, Frauen und ältere Menschen. Alle Konfliktparteien sollten die rechtswidrigen Angriffe und ihre Hassparolen einstellen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Bedürftigen ermöglichen.
„Zivilisten der ethnischen Gruppen der Rohingya und Rakhine sind die Hauptleidtragenden der Gräueltaten, die das Militär in Myanmar und die Rebellengruppe Arakan Army begehen“, sagte Elaine Pearson, Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. „Beide Seiten versuchen die Menschen mit Hassreden, Angriffen auf Zivilisten und großflächiger Brandstiftung aus ihren Häusern und Dörfern zu vertreiben und beschwören damit das Gespenst der ethnischen Säuberung herauf.“
Human Rights Watch hat 33 Betroffene und Zeug*innen von Angriffen befragt, die zu den Rohingya und Rakhine gehören, und Satellitenbilder, frei zugängliches Material, private Videos und Fotos sowie medizinische Aufzeichnungen untersucht.
Die Arakan Army, eine bewaffnete Gruppe der Rakhine-Ethnie, liefert sich seit Ende 2018 immer wieder schwere Kämpfe mit dem Militär von Myanmar um die Kontrolle über den Bundesstaat Rakhine. Nach einem über ein Jahr anhaltenden inoffiziellen Waffenstillstand sind im November 2023 erneut Kämpfe zwischen den Truppen der Militärjunta und der Arakan Army ausgebrochen. Nachdem die Arakan Army ihre Kontrolle über den Rakhine-Staat rasch ausgeweitet hatte, reagierte das Militär mit wahllosen Angriffen, etwa mit Kampfhubschraubern, Artillerie und Bodenangriffen. Dem Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) zufolge führten die Junta-Truppen von November bis Juli landesweit über 1.100 Luftangriffe durch, mehr als ein Fünftel davon im Bundesstaat Rakhine.
Im April hatten sich die Kämpfe in den überwiegend muslimischen Gemeinden Buthidaung und Maungdaw, in denen schätzungsweise 240.000 Rohingya lebten, verschärft. Die Analyse von Satellitenbildern, Zeug*innenaussagen und lokalen Medienberichten hat ergeben, dass Junta-Truppen und mit ihnen verbündete bewaffnete Rohingya-Gruppen Mitte April Brandanschläge auf Rakhine-Dörfer am Rande der Stadt Buthidaung sowie auf Stadtgebiete verübten, in denen Angehörige der ethnischen Gruppe der Rakhine leben.
Ende April begann die Arakan Army, Rohingya-Dörfer östlich der Stadt Buthidaung niederzubrennen. Die von Human Rights Watch analysierten Satellitenbilder und Daten zu thermischen Anomalien zeigen, dass zwischen dem 24. April und dem 21. Mai mehr als 40 Dörfer und Ortschaften in der Gemeinde Buthidaung teilweise oder vollständig niedergebrannt wurden. Das Feuer zerstörte Tausende von Gebäuden in der gesamten Gemeinde, auch in der überwiegend von Rohingya bewohnten Innenstadt. Das Muster der durch das Feuer entstandenen Zerstörung in Buthidaung lässt Human Rights Watch zufolge in allen Fällen auf Brandstiftung schließen.
Anwohner*innen berichteten, dass Kämpfer der Arakan Army am Abend des 17. Mai damit begannen, die Stadt Buthidaung in Brand zu setzen, obwohl die Evakuierung bis 10 Uhr am nächsten Tag erfolgen sollte. Tausende von Rohingya, die zuvor aus den nahegelegenen Dörfern vertrieben worden waren, hatten in Schulen, Häusern und dem Krankenhaus in der Innenstadt von Buthidaung Zuflucht gefunden. Augenzeug*innen berichteten, dass das Feuer, der Artilleriebeschuss und die Schüsse nicht in Zusammenhang mit offensichtlichen Kämpfen zwischen den Truppen standen.
„Ohne dass es irgendwelche Kämpfe gab, hat die Arakan Army die Stadt belagert“, sagte ein Mann, der aus dem Bezirk 2 von Buthidaung floh. „Sie feuerten mit schweren Waffen und setzten gleichzeitig die Häuser in Brand. Menschen rannten um ihr Leben. Ältere Menschen und Kinder wurden in den brennenden Häusern zurückgelassen. Es waren Bilder wie aus der Qayamat [Apokalypse].“
Durch die Einnahme von Buthidaung wurden schätzungsweise 70.000 Menschen vertrieben, die meisten davon Rohingya, die aus Angst vor weiteren Angriffen in den Westen und Süden flohen. Die Arakan Army gab am 18. Mai bekannt, dass sie alle Stützpunkte der myanmarischen Militärjunta in Buthidaung eingenommen habe. Aus Satellitenbildern geht hervor, dass die Brandstiftungen in dem Gebiet bis zum 21. Mai andauerten und das Feuer den Fluchtwegen der Rohingya folgte.
Human Rights Watch hat auch privat aufgenommene Videos und Fotos aus den sozialen Medien untersucht, auf denen zerstörte Häuser in Buthidaung im April und Mai und eine große Zahl fliehender Menschen zu sehen sind.
Die Rohingya sind zwischen die Fronten geraten, da sowohl die Militärjunta als auch die Arakan Army sie zwingen wollen, für sie zu kämpfen. Die Militärjunta hat mit Unterstützung bewaffneter Rohingya-Gruppen Tausende von Jugendlichen und Männern der Rohingya-Minderheit aus dem Bundesstaat Rakhine und den Flüchtlingslagern in Bangladesch zwangsrekrutiert und Rohingya gezwungen, an Scheinprotesten gegen die Arakan Army teilzunehmen. Dieses Vorgehen hat den Konflikt zwischen den Rohingya und den Rakhine aufgeheizt und zur Verbreitung von Hassrede und Fehlinformationen online wie offline geführt.
Die Arakan Army weist die Schuld für die Angriffe auf Zivilist*innen der Rohingya-Minderheit mit den Behauptungen von sich, sie habe ausreichend vorgewarnt und die Brände vom 17. und 18. Mai seien auf Luftangriffe der Militärjunta und Brandstiftung durch Rohingya-Milizen zurückzuführen. In einem Schreiben vom 5. August an Human Rights Watch erklärte die Arakan Army: „Wir dulden keine unrechtmäßigen Angriffe auf Zivilisten oder Brandstiftung an zivilen Objekten und beteiligen uns auch nicht an solchen.“
Das humanitäre Völkerrecht verbietet vorsätzliche und wahllose Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte wie Häuser, Schulen und Krankenhäuser. Massentötungen, die Verstümmelung von Leichen, Rekrutierung von Kindern, Plünderungen und Brandstiftung sind Kriegsverbrechen. Die Kriegsparteien müssen alle verfügbaren Vorkehrungen treffen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten. Sie müssen Angriffe umgehend abbrechen, wenn sich herausstellt, dass sie kein militärisches Ziel angreifen. Angriffen muss eine wirksame Warnung vorausgehen, wenn die Umstände dies zulassen.
Die Militärjunta von Myanmar und die Arakan Army sollten eine unabhängige internationale Untersuchung ermöglichen und humanitären Organisationen umgehend Zugang zum Rakhine-Staat gewähren, sagte Human Rights Watch.
„Die Militärjunta und die Arakan Army müssen umgehend Maßnahmen ergreifen, um Zivilisten und ziviles Eigentum während der Kämpfe zu schützen“, so Pearson. „Regierungen, die Einfluss auf die Kriegsparteien haben, sollten mit Nachdruck darauf drängen, da sonst die nächste ethnische Säuberung droht.“