(New York) – Die Taliban haben seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15. August 2021 die schwerste Frauenrechtskrise weltweit ausgelöst, so Human Rights Watch heute. Afghanistan erlebt zudem eine der schlimmsten humanitären Krisen der Welt. Hilfsgelder wurden stark gekürzt, Tausende Afghan*innen wurden von Pakistan zurück nach Afghanistan abgeschoben, Tausende weitere harren aus, in der Hoffnung, in westliche Länder ausreisen zu können.
Afghanistan ist unter der Herrschaft der Taliban das einzige Land der Welt, in dem Mädchen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen dürfen. Die Taliban haben Frauen zudem ihres Rechts auf Freizügigkeit beraubt, sie von vielen Berufen ausgeschlossen, Schutzmaßnahmen für Frauen und Mädchen, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren haben, abgebaut und den Zugang zu medizinischer Versorgung erschwert. Ferner hindern sie Frauen und Mädchen daran, Sport zu treiben oder Parks zu besuchen. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Afghanistan, Richard Bennett, bezeichnete die Situation als „ein institutionalisiertes System der Diskriminierung, Segregation, Missachtung der Menschenwürde und Ausgrenzung von Frauen und Mädchen“.
„Unter der menschenrechtsverachtenden Herrschaft der Taliban durchleben afghanische Frauen und Mädchen die schlimmsten Albträume“, sagte Fereshta Abbasi, Afghanistan-Forscherin bei Human Rights Watch. „Alle Regierungen sollten die Bemühungen unterstützen, die Taliban-Führung und alle, die für schwere Verbrechen in Afghanistan verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen.“
Seit Januar 2024 haben die Taliban Frauen und Mädchen in Kabul und anderen Provinzen festgenommen, weil diese sich angeblich nicht an die vorgeschriebene, strenge Kleiderordnung gehalten haben. UN-Expert*innen berichteten, dass einige der Betroffenen tagelang in Isolationshaft gehalten wurden und „körperlicher Gewalt, Drohungen und Einschüchterungen“ ausgesetzt waren. Neben den Rechten von Frauen und Mädchen wurden auch die Meinungs- und Medienfreiheit stark durch die Taliban eingeschränkt. Demonstrierende, Kritiker*innen und Journalist*innen werden inhaftiert und gefoltert.
Die Kürzungen im Bereich der Entwicklungshilfe haben zu der humanitären Krise in Afghanistan beigetragen. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten berichtet, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung - 23 Millionen Menschen - von Ernährungsunsicherheit betroffen ist. Frauen und Mädchen sind hierbei mit am stärksten betroffen. Der Plan der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe für das Jahr 2024 ist unterfinanziert; bis August hatten die Geberländer nur 12 % der benötigten Mittel bereitgestellt.
Das Ausbleiben ausländischer Hilfen hat dem afghanischen Gesundheitssystem schwer geschadet. Infolge der unzureichenden medizinischen Versorgung nehmen Unterernährung und Krankheiten dramatisch zu. Die von den Taliban vorgeschriebenen Einschränkungen für Frauen und Mädchen erschweren deren Zugang zu medizinischer Versorgung und verletzen somit ihr Recht auf Gesundheit. Die verhängten Ausbildungsverbote werden zwangsläufig zu einem Mangel an weiblichem Gesundheitspersonal führen, so Human Rights Watch. Die Geberländer müssen Wege finden, die anhaltende humanitäre Krise zu lindern, ohne dabei die repressive Politik der Taliban gegen Frauen und Mädchen zu unterstützen.
Mehr als 665.000 Afghan*innen wurden seit September 2023 aus Pakistan zurück nach Afghanistan abgeschoben. Grund hierfür ist das drastische Vorgehen der pakistanischen Regierung gegen Einwander*innen und Geflüchtete. Viele der Betroffenen lebten bereits seit Jahrzehnten in Pakistan. Hinzukommen Millionen von Binnengeflüchteten innerhalb Afghanistans. Die verfügbaren Mittel reichen bei Weitem nicht aus, um die humanitäre Krise zu bewältigen.
Tausende Afghan*innen, die nach der Machtübernahme durch die Taliban aus dem Land geflohen waren, harren derzeit im Iran, in der Türkei, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in anderen Ländern in einem Schwebezustand aus. Grund hierfür sind die Umsiedlungsverfahren in Ländern, die sich zur Aufnahme von Afghan*innen verpflichtet haben, darunter die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland und Kanada. Diese Verfahren kommen oft nur langsam voran und werden den Bedürfnissen von gefährdeten Afghan*innen nicht gerecht.
„Der dritte Jahrestag der Machtübernahme durch die Taliban ist eine düstere Erinnerung an die Menschenrechtskrise in Afghanistan, aber er sollte auch ein Aufruf zum Handeln sein“, sagte Abbasi. „Die Regierungen, die mit den Taliban verhandeln, sollten sie immer wieder daran erinnern, dass ihre Übergriffe gegen Frauen und Mädchen und alle Afghan*innen gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans verstoßen. Die Geber sollten Hilfe leisten, um die Bedürftigsten zu erreichen und dauerhafte Lösungen für die humanitäre Krise in Afghanistan zu finden.“